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PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat"

Follow the Rechtsstaat Folge 46

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Immer neue Zugangshürden in Karlsruhe und Warten auf „Deutsche Wohnen“ in Luxemburg

Nicht nur Datenschützerinnen und Datenschützer warten gespannt auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Fall „Deutsche Wohnen“. Mit den Schlussanträgen des Generalanwalts und dem Vorlagebeschluss des EuGH hat sich Stefan Brink in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 2023, 2548) äußerst kritisch befasst.

Ab Minute 13:50: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat wieder einmal ein neues Zugangshindernis „erfunden“. Anders als in etlichen früheren Entscheidungen lässt Karlsruhe einen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht mehr für eine Verfassungsbeschwerde ausreichen, sondern verlangt ein „bewusstes und systematisches Übergehen prozessualer Rechte von Verfahrensbeteiligten“ (BVerfG vom 25.8.2023, Az. 1 BvR 1612/23). Besonders ärgerlich an dieser Entscheidung ist, dass der Anschein erweckt wird, man habe dies in Karlsruhe schon immer so gesagt. Niko Härting und Stefan Brink zeigen auf, dass dies nicht der Fall ist. Warum soll auch eine Verfassungsbeschwerde nur dann zulässig sein, wenn Grundrechte „bewusst und systematisch“ verletzt werden?

Ab Minute 30:37: In einem weiteren Fall lehnte das BVerfG die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ab, die sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wendete (BVerfG vom 9.8.2023, Az. 2 BvR 558/22). 5 Jahre Haft, der Täter hatte per „EncroChat“ kommuniziert und war abgehört worden. Ob und inwieweit das behördliche Abhören (verschlüsselter) „EncroChat“-Kommunikation verfassungskonform war, ist äußerst umstritten. Stefan Brink und Niko Härting fragen sich, ob es wirklich zwingend war, dass das BVerfG dieser brisanten Frage ausgewichen ist.

Follow the Rechtsstaat Folge 45

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Stefan Brink wird vom Dauergast zum Co-Host der Podcasts, der sich auch in Zukunft nicht nur mit Datenschutz, Datenrecht und der Informationsfreiheit befassen wird. So geht es auch in dieser Folge um Grundrechte, den Rechtsstaat und das Verfassungsrecht. Stefan Brink und Niko Härting bestellen zwei frische Aufsätze vor zu den Entscheidungen des BVerfG zur „Bundesnotbremse“ und zum Klimaschutz.

Ab Minute 4:20: „Bundesnotbremse I“ (Beschluss vom 19.11.2021, 1 BvR 781/21): Der BVerfG-Richter Henning Radtke war Berichterstatter bei dieser Entscheidung, Tobias Mast war sein Wissenschaftlicher Mitarbeiter und hat in der aktuellen Ausgabe des „Archivs des öffentlichen Rechts (AöR)“ (2023, 154 ff.) einen Aufsatz veröffentlicht. In diesem Aufsatz leugnet er die Relevanz der Unterscheidung zwischen Grundrechtseinschränkungen „durch Gesetz“ und Einschränkungen „auf Grund eines Gesetzes“. Härting, der einen der Beschwerdeführer in dem Verfahren vertrat, ist sich mit Brink in seiner Kritik einig. Mit viel argumentativem Aufwand blendet Mast - wie auch das BVerfG - die Lehren aus der NS-Zeit aus, die dazu geführt haben, dass die Freiheit der Person in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG feierlich als „unverletzlich“ bezeichnet wird.

Ab Minute 36:30: „Klimaschutz“ (Beschluss vom 24.3.2021 - 1 BvR 2656/21): In einem gleichfalls frischen Beitrag beschreibt BVerfG-Richter Josef Christ, wie das BVerfG bei seiner Entscheidung zum Klimaschutz vorgegangen ist (NVwZ 2023, 1193 ff.). Aus der Begründung der Entscheidung lassen sich weitreichende Konsequenzen ableiten, da Schutzpflichten auf künftige Generationen ausgeweitet werden. Ob derartige Konsequenzen vom BVerfG tatsächlich beabsichtigt sind - bspw. wenn es um die Belastung künftiger Generationen mit Staatsschulden geht -, lässt sich dem Aufsatz nicht entnehmen.

Die beiden Entscheidungen stammen aus dem selben Jahr, könnten jedoch gegensätzlicher nicht sein. Bei der „Bundesnotbremse“ übte man sich in „judicial restraint“, wohingegen man beim „Klimaschutz“ keine Zurückhaltung zeigte, sich tief in naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu vertiefen.

Follow the Rechtsstaat Folge 44

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Dieser Podcast ist Uwe Wesel gewidmet.

„Alles klar auf der Andrea Doria.“ Als Jurastudent im ersten Semester 1983/84 durfte Niko Härting Uwe Wesels Ringvorlesung zur „Juristischen Weltkunde“ erleben. Und Uwe Wesel war ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Jura für Nichtjuristen, leicht gemacht, oft mit ironisch-spöttischem Unterton, immer in kurzen Sätzen, die manchmal nur aus einem Wort bestanden. 1984 erschien das Buch zur Vorlesung im Suhrkamp Verlag und wird bis heute immer wieder neu aufgelegt. Uwe Wesel war Zivilrechtler und Rechtshistoriker mit Schwerpunkt im Römischen Recht und begleitete Niko Härting durch sein ganzes Studium. Er verstand es, Studenten (die damals noch keine Studierenden waren) im Seminar das Recht der Nubier aus längst vergangenen Zeiten interessant zu machen und dies mit vielen Gegenwartsbezügen zu verknüpfen. Bis ins hohe und höchste Alter schrieb er zahlreiche Bücher. Immer erst ab Mittag, da er ein bekennender Morgenmuffel war

Niko Härting erinnert im Gespräch mit Stefan Brink an Uwe Wesel, der am 11.9.2023 gestorben ist und 90 Jahre alt wurde. Uwe Wesel war bereits mit 36 Jahren Vizepräsident der Freien Universität (FU) Berlin – von 1969 bis 1973, mitten in der wildesten Phase der Studentenrevolten. Er war ein Vorbild dafür, wie man meinungsfreudig und zugleich frei von jeder Rechthaberei sein kann. Ein Meister der Selbstironie, des Formulierens ohne Neben- und Schachtelsätze, offen, ironisch und gelegentlich auch bissig, ohne verletzend zu sein. Links, aber undogmatisch. Ein Gelehrter alter Schule, zugleich durch und durch von der 1968er-Zeit geprägt.

Ab Minute 8:50 dann ein ganz anderes Thema: Stefan Brink und Niko Härting sprechen über die Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), die die Bundesregierung plant. Das Bundesinnenministerium (BMI) hat einen enttäuschenden Entwurf vorgelegt, der das erklärte Ziel einer „Institutionalisierung“ der Datenschutzkonferenz (DSK) verfehlen wird. Nicht ganz einig sind sich Brink und Härting darüber, wie groß der Reformbedarf tatsächlich ist. Defizite und Unzulänglichkeiten der DSK sind indes nicht zu übersehen. Nicht nur weil die Sitzungen der DSK – laut Stefan Brink, der aus langjähriger eigenen Erfahrung spricht – gelegentlich „nicht vergnügungssteuerpflichtig“ sind, sondern auch weil die DSK keine verbindlichen Beschlüsse fassen kann. Unlängst kam es zu einer „Eskapade“ (Stefan Brink) der Thüringer Behörde, die in einer Pressemitteilung Anfang September stolz verkündete, einem Beschluss der DSK nicht zu folgen: „Der TLfDI weicht vom Votum der DSK ab und nimmt Stellung!“ (https://www.tlfdi.de/fileadmin/tlfdi/presse/Pressemitteilungen_2023/230904_PM_DPF.pdf)

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat unlängst einen „Datenschutz-Staatsvertrag“ nach dem Vorbild der medienrechtlichen Staatsverträge gefordert. Niko Härting erklärt, weshalb dies ein Königsweg sein kann, um die DSK zu festigen und ihren Beschlüssen rechtliche Verbindlichkeit zu verschaffen.

Follow the Rechtsstaat Folge 43

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Roland Schimmel ist Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer an der Frankfurt University of Applied Sciences. Bundesweit erregt er immer wieder als „Plagiatsjäger“ (nach eigener Beschreibung „Plagiatsförster“) Aufsehen - zuletzt durch einen NJW-Beitrag mit dem Titel „Deutschland, Deine Dissertationen“ (https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/deutschland--deine-dissertationen).

Max Adamek und Niko Härting sprechen mit Roland Schimmel, der seine eigene Doktorarbeit 1996 über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Homo-Ehe schrieb. Dies zu einer Zeit, zu der noch weitgehender Konsens bestand, dass Artikel 6 des Grundgesetzes Ehen nur zwischen Mann und Frau erlaubt.

Ab Minute 26:34: Seit dem Plagiatsskandal um den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor von Guttenberg vor 12 Jahren gibt es immer wieder Fälle, in denen Prominenten nachgewiesen wird, dass sie Teile ihrer Doktorarbeit abgeschrieben haben. Viele Plagiate wurden durch die Plattform „Vroniplag“ überführt.
Roland Schimmel hat sich selbst bei „Vroniplag“ engagiert und erklärt, wie die Plattform nach dem „Wiki-Prinzip“ funktioniert.

Was für Kriterien gibt es eigentlich bei der Abgrenzung erlaubter Zitate von echten Plagiaten? Welche Regeln gelten und wer legt diese fest? Was genau versteht man unter einem „Bauernopfer“? Und wann müssen Anführungszeichen gesetzt werden? Wozu taugt Plagiats-Software“? Und welchen Beitrag müsste der Wissenschaftsbetrieb leisten, um die „Plagiatsproduktion“ zu bremsen?

Follow the Rechtsstaat Folge 42

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„Privacy in Germany“ (PinG) wird 10 Jahre alt. Eingangs werfen wir in dieser Folge mit Schriftleiterin Iris Phan einen Blick in die Jubiläumsausgabe der PinG, die Anfang September erscheint.

Ab Minute 4:30 geht es dann um „Rechtliche und ethische Implikationen Künstlicher Intelligenz am Beispiel des Sexroboters“ – Iris Phans langjähriges Forschungsthema als Juristin und Philosophin, über das sie mit Stefan Brink und Niko Härting spricht.

Sensoren, Sprach-, Bild- und Mustererkennung im nachgebildeten Intimbereich gehören zum Standard moderner Sexroboter. In ihrer „Grundausstattung“ werden sie mit Trainingsdaten aus Pornofilmen trainiert.

Iris Phan erklärt zunächst, wie Sexroboter, die es in weiblichen und männlichen Varianten gibt, funktionieren und aussehen. Die Roboter passen sich durch Machine Learning an ihre Benutzerinnen und Benutzer an. Ziel: „ein synchron-künstlicher Orgasmus“.

Iris Phan berichtet, wie Sexroboter von ihren Besitzerinnen und Besitzern „vermenschlicht“ werden. Da sitzt der Roboter dann gerne auch einmal hübsch bekleidet am Frühstückstisch und sagt „Hey Chuck, wie geht es dir heute?“

Als Datenschutzthema kommen Sexroboter und Sextoys bislang so gut wie nicht vor. Dies obwohl es auf der Hand liegt, dass besonders sensible Personendaten verarbeitet werden (Art. 9 DSGVO: „Daten zum Sexualleben“) und Datenschutz-Folgeabschätzungen (Art. 35 DSGVO) an der Tagesordnung sein sollten. Auch „Privacy by Design“ (Art. 25 Abs. 1 DSGVO) ist bislang kein Thema. Datenschutzbeschwerden über Sexroboter gab es in Stefan Brinks Amtszeit als baden-württembergischer Datenschutzbeauftragter nicht. Stefan Brink meint daher, es gebe noch viel Aufklärungsarbeit: „Wir müssen Sachverhalt produzieren“.

Über das Thema der Sexroboter gelangt man auch zu Grundfragen des Datenschutzrechts – etwa zu Fragen der Profilbildung und der Diskriminierung: „Das Mikrofon hört immer mit.“ „Creepy“ laut Iris Phan auch die Frage, inwieweit Prominente dagegen geschützt sind, dass das Gesicht eines Sexroboters einem prominenten Gesicht nachgebildet wird.

Follow the Rechtsstaat Folge 41

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Jörg Phil Friedrich ist Philosoph, Physiker, Meteorologe und Softwareunternehmer und hat kürzlich einen Essay veröffentlicht mit dem Titel „Degenerierte Vernunft – Künstliche Intelligenz und die Natur des Denkens“ (https://shop.claudius.de/degenerierte-vernunft.html).

Mit Niko Härting spricht Jörg Phil Friedrich über die Stärken und Schwächen Künstlicher Intelligenz. Was versteht man überhaupt unter (menschlicher) „Intelligenz“? Ist „Intelligenz“ stets zugleich „vernünftig“? Wenn Intelligenz „künstlich“ ist, wie unterscheidet sie sich von „natürlicher“ (menschlicher) Intelligenz? Gleicht das „Füttern“ von Rechnern mit Trainingsdaten der Dressur eines Tieres?

Je standardisierter Nachrichtentexte, Pressemitteilungen, Wetterberichte, Sportreportagen, Drehbücher, Songs, Grafiken und Anwaltsschriftsätze werden, desto mehr eignen sie sich für den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Wenn dann aber am Ende Texte, Bilder, Filme einander zum Verwechseln ähnlich sind, liegt dies nicht an „der KI“, sondern daran, dass (menschliche) Intelligenz in immergleichen Standards und Formaten verödet. Oder degeneriert. Friedrichs Essay ist daher in erster Linie ein Plädoyer für die Kreativität und den schöpferischen menschlichen Geist, dem - jedenfalls bislang - keine Künstliche Intelligenz gewachsen ist.

Follow the Rechtsstaat Folge 40

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Niko Härting spricht mit Thomas Fuchs, seit November 2021 Hamburgischer Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit.

Seit den 90er-Jahren war Thomas Fuchs in der Hamburgischen Kulturverwaltung tätig und befasste sich unter anderem mit der Planung der Elbphilharmonie. Von 2008 bis 2021 war er Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein und war dort zuletzt auch für Intermediäre wie Google zuständig. In der Corona-Krise ging seine Behörde gegen Google vor, als man bei Google begann, Seiten des Bundesgesundheitsministeriums in den Suchergebnissen zu Corona hervorzuheben. Die Zusammenarbeit von Google und dem Gesundheitsministerium wurde von vielen begrüßt, um Desinformation zu bekämpfen. Nichtsdestotrotz handelte es sich um eine Bevorzugung staatlicher Informationen durch ein marktmächtiges Unternehmen, über deren Rechtmäßigkeit das Verwaltungsgericht Schleswig in geraumer Zeit entscheiden wird.

Thomas Fuchs ist überzeugt, dass Gesetze zur Datennutzung wie das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz oder der europäische Data Act das Datenschutzrecht nicht „unberührt“ lassen können. Wenn eine massenhafte Nutzung von Daten gesellschaftlich gewollt ist, sei es nicht realistisch, einwilligungsbasiert vorzugehen. Fuchs kritisiert eine „falsche Zentrierung“ auf die Einwilligung und ist der Überzeugung, dass man in Zukunft verstärkt auf „Opt-Out-Systeme“ setzen wird. Datenschutzbehörden dürften bei dieser Entwicklung keine „Bremsklötze“ sein, sondern sollten hieran gestaltend mitwirken. Der Gesetzgeber sei gefordert, den „Paradigmenwechsel“ von der Einwilligung zu „Opt-Out-Systemen“ gesetzlich auszugestalten. Dass die DSGVO in zahlreichen Rechtsakten als „unberührt“ bezeichnet wird, kann und darf nicht das letzte Wort des Gesetzgebers sein.

Bei seinem Amtsantritt als oberster Datenschützer des Stadtstaates Hamburg war Thomas Fuchs beeindruckt von dem Sachverstand und der Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seiner Behörde. Für problematisch erachtet es Fuchs jedoch, dass die Arbeit der Behörde ganz überwiegend „beschwerdegetrieben“ ist und kaum dazu kommt, eigene Schwerpunkte zu setzen. Thomas Fuchs hat sich eine Optimierung der Prozesse zur Bearbeitung von Beschwerden vorgenommen durch Digitalisierung und durch eine effizientere Nutzung der personellen Ressourcen der Behörde. Gelungen ist dadurch eine proaktive Untersuchung der Datenschutzkonformität von Abläufen bei Maklerbüros in Hamburg.

Informationsfreiheit und Transparenz werden in Hamburg groß geschrieben. Thomas Fuchs berichtet über das Transparenzregister, das es in Hamburg bereits seit einigen Jahren gibt. Für „normale Verwaltungsvorgänge“ gilt weiter Informationsfreiheit mit einer Abhilfequote der Hamburgischen Behörde, die laut Fuchs bei 90 % liegt.

Thomas Fuchs spricht über die geplanten Reformen bei der Datenschutzkonferenz („DSK 2.0.“) und bricht am Schluss eine Lanze für den Datenschutz im öffentlichen Bereich. Das Datenschutzrecht ist nach Fuchs‘ Überzeugung zu sehr Wirtschaftsrecht geworden. Die behördliche Datennutzung müsse jedoch auch weiterhin stark im Fokus der Datenschutzaufsicht liegen. Der Schutz des Bürgers gegen staatliche Übergriffe hält Fuchs für eine selbstverständliche Kernaufgabe seiner Behörde.

Follow the Rechtsstaat Folge 39

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Judith Froese spricht mit Niko Härting über den Regierungsentwurf für ein neues „Selbstbestimmungsgesetz“, das transsexuellen und intersexuellen Menschen eine Änderung ihres Personenstandes erleichtern soll.

„Der Mensch in der Wirklichkeit des Rechts. Zur normativen Erfassung des Individuums durch Kategorien und Gruppen“ - Dies ist der Titel der Habilitationsschrift (2020) von Judith Froese, die Professorin auf den Gebieten des Verfassungsrechts, Verwaltungsrechts und der Rechtsphilosophie an der Universität Konstanz ist.

In dem Gespräch mit Niko Härting geht es um das Transsexuellengesetz aus dem Jahre 1980, das für einen Wechsel des Personenstandes zwei medizinische Gutachten vorschreibt und von den Betroffenen als entwürdigend empfunden wird. Nach dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz soll dagegen eine einfache Erklärung vor dem Standesamt die Änderung des Personenstandes und des Vornamens ermöglichen. Judith Froese hat zwar keinen Zweifel am dringenden Reformbedarf, sieht jedoch einige der geplanten neuen Vorschriften kritisch. Unter anderem kritisiert sie, dass sich der Gesetzesentwurf jeglicher Definition der Kategorie des „Geschlechts“ enthält.

Froese weist auf den Widerspruch hin, dass einerseits die Kategorie des „Geschlechts“ als weitgehend bedeutungslos angesehen wird, während es andererseits ein verbreitetes Bedürfnis gibt, sich über seine individuellen Merkmale, zu denen auch das „Geschlecht“ gehört, in seiner „Identität“ zu definieren.

Niko Härting lernt aus dem Gespräch, dass es durchaus fraglich ist, ob man überhaupt noch einen amtlichen „Personenstand“ braucht. Wenn Männer, Frauen und Diverse - anders als in früheren Zeiten - in nahezu allen Lebensbereichen gleiche Rechte und Pflichten haben und jedwede Diskriminierung untersagt ist, wird der amtliche „Personenstand“ zunehmend ein Relikt aus vergangenen Zeiten.

Follow the Rechtsstaat Folge 38

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Stefan Brink und Niko Härting sprechen zunächst über den Angemessenheitsbeschluss der Europäischen Kommission, der den Transfer von Personendaten in die USA erleichtert. Nach „Safe Harbor“ und „Privacy Shield“ heißt es jetzt – ganz nüchtern – „EU-U.S. Data Privacy Framework“. Mal schauen, was daraus wird.

Ab Minute 12:05: Susanne Baer war bis vor kurzem Richterin am BVerfG und hat am 26.5.2023 ihre Abschiedsrede gehalten, die kürzlich auszugsweise im „Spiegel“ nachzulesen war (https://www.spiegel.de/kultur/richterin-susanne-baer-sie-brauchen-grundrechte-wenn-sie-irgendwie-groesser-als-anders-kleiner-als-sind-a-51e856ed-9e43-49f9-b6c5-3963ed8f5578). In einem FAZ-Beitrag hat sich der Bonner Hochschullehrer Klaus Ferdinand Gärditz zu dieser Rede sehr kritisch geäußert

(https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/verfassungsgericht-darf-sich-nicht-der-kritik-an-seinen-urteilen-verschliessen-19021651.html).

Susanne Baer zeichnet in ihrer Abschiedsrede ein düsteres Bild von dem Zustand der Gesellschaft, befürchtet ein „Rollback“. Sie beklagt eine zunehmende Diffamierung des BVerfG und seiner Richter, spricht von einem „gefährlichen Sound“ aus dem rechten Spektrum, das die Verfassungsordnung ablehne. Klaus Ferdinand Gärditz tritt dieser Sichtweise entgegen und meint, eine Verfassungsgerichtsbarkeit dürfe nicht aus Sorge vor populistischen Affekten „kritikscheu“ werden: „Robustheit und die Gelassenheit, besonders wilden Blödsinn zu ignorieren, gehören zur Jobbeschreibung aller, die ein öffentliches Amt haben.“

Stefan Brink und Niko Härting diskutieren, ob es tatsächlich Anzeichen für das von Susanne Baer befürchtete „Rollback“ gibt. Dagegen könnte sprechen, dass es heute – anders als beim Amtsantritt von Susanne Baer vor 12 Jahren – kaum noch Aufsehen erregen würde, dass eine Verfassungsrichterin offen homosexuell ist. Hat Gärditz recht, wenn er meint, man sei in Karlsruhe womöglich „kritikscheu“? Gibt es in Karlsruhe eine Art „Bunkermentalität“, die sehr unterschiedliche Richterinnen und Richter zum Zusammenhalt motiviert, weil man sich populistischer, diffamierender Kritik von „Feinden der Verfassung“ ausgesetzt sieht?

Follow the Rechtsstaat Folge 37

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Der Ex-Verfassungsrichter und Hochschullehrer Dieter Grimm spricht mit Niko Härting über die Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes, über wegweisende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die Richterwahl und die Bedeutung von Sondervoten.


Dieter Grimm war von 1987 bis 1999 Richter am BVerfG und gehörte dem Ersten Senat an. In dem Gespräch mit Niko Härting geht es zunächst um seinen Werdegang mit Stationen in Frankfurt/Main, Bielefeld, Karlsruhe und Berlin. Als „Permanent Fellow“ wirkt Dieter Grimm seit mehr als 20 Jahren am Wissenschaftskolleg zu Berlin.

2022 erschien Grimms Buch „Die Historiker und die Verfassung – ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes“ (https://www.chbeck.de/grimm-historiker-verfassung/product/33343352), das im Mittelpunkt des Gesprächs steht. Die „Wirkungsgeschichte“ ist für Grimm das „Reich dazwischen“, zwischen Rechtswissenschaft und Geschichte, von Zeithistorikern nur wenig erkundet. Zeithistoriker interessieren sich meist nur für die unmittelbaren Folgen wegweisender BVerfG-Entscheidungen („Wer hat verloren? Wer hat gewonnen?“, nicht jedoch für deren Fernwirkungen.

Grimm und Härting sprechen über das KPD-Verbot aus den 1950er-Jahren, eine BVerfG-Entscheidung, deren Fernwirkungen Grímm für eher übersichtlich hält. Umso bedeutsamer das Lüth-Urteil, das weit über Deutschland hinaus bekannt ist. Durch „Lüth“ erhielten die Grundrechte „Drittwirkung“ und prägten die Rechtsordnung auch außerhalb des Verhältnisses „Bürger/Staat“, eine Rechtsordnung, die in den 1950er-Jahren größtenteils noch aus vordemokratischer Zeit stammte und zum erheblichen Teil geändert oder doch neu interpretiert werden musste.

Von großer Tragweite war auch das Elfes-Urteil, das gleichfalls aus den 1950er-Jahren stammt. Die Geburtsstunde des Verhältnismäßigkeitsprinzips als prägendes Merkmal des deutschen Verfassungsrechts. Und die Geburtsstunde des Art. 2 Abs. 1 GG („freie Entfaltung der Persönlichkeit“) als „Auffang-Grundrecht“, von Dieter Grimm stets kritisch gesehen, nicht zuletzt in seinem späteren Sondervotum zu „Reiten im Walde“, in dem er vor einer „Banalisierung von Grundrechten“ warnte.

In Folge 25 von „Follow the Rechtsstaat“ ging es unter anderem um die Abschiedsrede des Verfassungsrichters Peter M. Huber und dessen Satz, dass Sondervoten stets als „Niederlage“ wahrgenommen werden, da sich das Gericht stets um Konsens bemühe. Dieter Grimm sieht dies etwas anders. Als die Möglichkeit von Sondervoten 1971 neu eingeführt wurde, gab es Kritik, dass dies der Autorität des Gerichts schaden könne. Diese Befürchtung hat sich indes nicht bewahrheitet. Die Möglichkeit von Sondervoten hat sich nach Grimms Einschätzung als positiv erwiesen, signalisiert sie doch der unterlegenen Seite Verständnis und Unterstützung.

Dieter Grimm schätzt, dass in seiner Zeit in Karlsruhe nur etwas mehr als 60% der Entscheidungen einstimmig ergingen. Sondervoten gab es immer wieder, aber auch Grimm beobachtet, dass von der Möglichkeit eines Sondervotums heute nur noch sehr selten Gebrauch gemacht wird.

Dieter Grimm und Niko Härting sprechen auch über die Rolle des BVerfG in den 1970er-Jahren. Damals stand das Gericht stark in der Kritik, es gab sogar einen nächtlichen Brandanschlag. Man warf Karlsruhe vor, die Reformpolitik der sozialliberalen Regierung auszubremsen. Besonders in der Kritik stand die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch mit einem berühmten Sondervotum von Wiltraut Rupp-von Brünneck und Helmut Simon. Die Geburtsstunde staatlicher Schutzpflichten, die den Staat nach Auffassung der Richtermehrheit sogar zu strafrechtlich sanktionierten Verboten verpflichtete.

Das Volkszählungsurteil, das dieses Jahr 50 Jahre alt wird, war für Dieter Grimm eine Art Wendepunkt für das Ansehen des BVerfG, denn es löste bei Bürgerrechtlern einen „Jubelsturm“ aus, ähnlich wie das kurz darauf folgende Brokdorf-Urteil, das bis heute das Versammlungsrecht prägt.

Über diesen Podcast

„Follow the Rechtsstaat“, der Podcast der Zeitschrift PinG, Privacy in Germany mit Stefan Brink und Niko Härting. Wir kümmern uns um aktuelle Fragen des Rechts, des Rechtsstaats und unserer Verfassung und schauen dabei immer ganz besonders auf die Themen Datenschutz und Informationsfreiheit.

von und mit Prof. Niko Härting

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