PinG-Podcast

PinG-Podcast "Follow the Rechtsstaat"

Corona im Rechtsstaat Folge 87

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Prof. Ralph Brinks ist Mathematiker und Epidemiologe und Inhaber eines Lehrstuhls für Medizinische Biometrie und Epidemiologie der Fakultät Gesundheit an der Universität Witten-Herdecke. Zugleich ist Ralph Brinks Mitglied der Corona-Daten-Analyse-Gruppe an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Mathematik, Medizin, Statistik, Epidemiologie: Wie hängen all diese Fachgebiete zusammen? Im Gespräch mit Niko Härting erklärt Ralph Brinks die Bedeutung von Modellen und Vorhersagen in der Epidemiologie. Er legt dar, dass es für solide Vorhersagen einer soliden Datenbasis bedarf. Hieran fehlt es jedoch bis heute häufig. Wenn Modelle und Vorhersagen grundlegende Kriterien – etwa über das Alter von Infizierten und über Vorerkrankungen – ausblenden, ist ihre Aussagekraft begrenzt, die Präzision lässt zu wünschen übrig. Wer aus Handydaten Bewegungsbilder ableitet und auf dieser Grundlage Vorhersagen über Ansteckungszahlen trifft, kommt zu Prognosen, die sich im Ungefähren und Spekulativen verlieren.

Über Ansteckungsorte und –wege ist auch im dritten Corona-Jahr immer noch wenig bekannt. Es fehlt an einer systematischen Erfassung entsprechender Daten: Wie alt sind die Infizierten, welche Berufe und Vorerkrankungen haben sie, wohnen sie allein in einem Penthouse oder beengt mit vielen Angehörigen in einer kleinen Wohnung? All dies wird nicht gefragt und nicht zentral beim Robert-Koch-Institut gemeldet, sodass es nicht verwunderlich ist, dass wir in der Corona-Krise nach wie vor in vielerlei Hinsicht im Nebel tappen. Dass es „der Datenschutz“ sein soll, der Erhebungen und Untersuchungen verhindert, ist eine Ausrede, die trotz ständiger Wiederholung eine Ausrede bleibt.

Ralph Brinks zeigt in dem Gespräch auch auf, welche Art von Studien immer wieder verabsäumt wurden. Hat man eigentlich einmal in einer Stadt die Schulen geschlossen und in der Nachbarstadt die Schulen geöffnet gehalten, um festzustellen, ob und wie sich Schulschließungen auf die Verbreitung des Virus auswirken?

Corona im Rechtsstaat Folge 86

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Prof. Dr. Detlev Krüger war von 1989 bis 2016 Direktor der Instituts für Medizinische Virologie an der Berliner Charité. Im Gespräch mit Niko Härting berichtet er über seine beruflichen Erfahrungen, die seinen Blick auf die Corona-Krise prägen. Krüger hat sich wiederholt gegen Schulschließungen ausgesprochen und kürzlich - gemeinsam mit anderen Experten - in einem Offenen Brief an den Bundeskanzler deutliche Korrekturen beim Umgang mit Kindern gefordert.

Krüger betont, dass Kinder nicht zu den Corona-Risikogruppen zählen. Daher sei Alarmismus verfehlt, wenn sich Kinder mit Corona infizieren. Vielmehr seien ältere Bürgerinnen und Bürger gefordert, sich - insbesondere durch Impfungen - gegen eine Ansteckung zu schützen. Eine Politik, die Kinder als Gefahr für die eigenen Großeltern betrachtet, lehnt Krüger entschieden ab.

Krüger weist darauf hin, dass die Impfstoffe zwar äußerst hilfreich sind, aber nicht halten, was sie einst versprachen, da sie keine Ansteckungen verhindern. Zur Impfung von Kindern äußert sich Krüger skeptisch, derzeit unabsehbare Langzeitfolgen der Impfung hält er für möglich. Die Impfstoffe seien zudem auf die Ursprungsvariante des Virus zugeschnitten und weder auf die Delta- noch auf die Omikron-Variante optimiert.

Dass sich mit Omikron eine sehr ansteckende Virusvariante entwickelt hat, ist für Krüger keineswegs überraschend. Das Virus passe sich an den Menschen („den Wirt“) an, dies kenne man auch von anderen Viren. Das Risiko schwerer Verläufe sei bei Omikron deutlich geringer, auch aus diesem Grund sei Alarmismus wegen steigender „Inzidenzen“ nicht angebracht.

Krüger erklärt ausführlich, weshalb eine Ansteckung für die Immunisierung deutlich effizienter ist als eine bloße Impfung. Dass man den Genesenenstatus kürzlich von sechs auf drei Monate verkürzt hat, habe keine wissenschaftliche Grundlage.

In dem Gespräch geht es auch um die Grippe. Krüger betont, dass es sich bei der Grippe (der Influenza) um eine Ernst zu nehmende Krankheit handelt. Schon deshalb verharmlose man Corona keinesfalls durch Grippevergleiche. Anders als bei Corona gehören Kinder bei Influenza zu den Risikogruppen. Dennoch sei man bislang nicht auf die Idee gekommen, eine Grippe-Schutzimpfung für Kinder generell zu empfehlen.

Corona im Rechtsstaat Folge 85

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Mit dem Historiker und Publizisten René Schlott sprach Niko Härting bereits in Folge 23 und Folge 51. In der neuen Folge geht es um den Begriff der Freiheit unter pandemischen Bedingungen. Hat Freiheit heute noch einen guten Namen oder steht sie unter Egoismusverdacht? Kann man überhaupt über Freiheit reden, ohne deren Schranken gleich mitzudenken? Wie kommt es, dass Solidarität und Gemeinsinn heute oft höher gewichtet werden als die Freiheit des einzelnen Bürgers? Was ist von dem „gesellschaftlichen Konsens“ zu halten, von dem oft die Rede ist?

Um die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung geht es auch in der aktuellen Debatte um Impfpflichten. Was ist dabei maßgebend – „der kleine Pieks“, das objektive Gewicht des Eingriffs, oder das subjektive Empfinden von Bürgerinnen, die eine Impfpflicht als gravierenden körperlichen Eingriff oder gar als einen „Tabubruch“ wahrnehmen? Lässt sich eine Impfpflicht nur zum Selbstschutz rechtfertigen? Oder kann auch der Fremdschutz eine solche Pflicht legitimieren? Kann es richtig und verantwortbar sein, dass sich Junge zum Schutz der Alten gegen Corona impfen lassen müssen?

Am Schluss des Gesprächs geht es um die Versammlungsfreiheit. René Schlott kritisiert die verbreiteten Verbote von Demonstrationen und Spaziergängen und betont den hohen Rang, der der Versammlungsfreiheit nach dem Willen der Mütter und Väter des Grundgesetzes zukommt.

Corona im Rechtsstaat Folge 84

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Wie erleben Künstlerinnen die Corona-Zeit? In dem letzten Podcast 2021 unterhält sich Niko Härting mit der Berliner Drag-Legende Gloria Viagra.

Als Drag Queen und DJ konnte Gloria seit März 2020 kaum arbeiten. Im Herbst 2020 waren ihre Ersparnisse aufgebraucht. Erstmals seit 27 Jahren ließ sich Gloria anstellen - als Verkäuferin in einem Schokoladengeschäft, das kurze Zeit später schließen musste. Seitdem Kurzarbeit und dann erneut in Sachen Schokolade aktiv.

Bei einer Flasche Sekt (Magnum) sprechen Gloria Viagra und Niko Härting über die Geringschätzung, die die Clubkultur erlebt. Clubs finden sich in einer Schmuddelecke wieder, die längst überwunden schien. Kaum jemand denkt an die vielen Existenzen, die auf offene Clubs angewiesen sind. Kaum jemand denkt an die Gäste, für die die Clubs Safe Spaces und Zweite Wohnzimmer sind. Manche der Gäste fielen ins Nichts. Gloria Viagra berichtet über Selbstmorde und Drogentote, die es seit März 2020 im Bekanntenkreis gegeben hat. Es scheint kaum jemanden zu interessieren.

Als Parteilose kandierte Gloria Viagra 2021 auf der Liste der LINKEN für das Abgeordnetenhaus. Sie berichtet über das weite Meinungsspektrum zu Corona, das es bei den LINKEN - ebenso wie in anderen Parteien - gibt. Warum wird die Debatte dominiert von Menschen, die die Krise im Home Office aus dem Dachgeschoss einer Wohnung am Prenzlauer Berg erleben? Wo bleiben eigentlich das soziale Gewissen und die Wertschätzung der Kultur?

In der Krise dominiert der Egoismus. Die Sorge um das eigene Klopapier erscheint wichtiger als das Mitgefühl für Menschen, die mit den sozialen und wirtschaftlichen Folgen täglich kämpfen. Und der Widerstandsgeist erlahmt, zumal man sich nicht mit Demonstranten gemein machen möchte, die mit der Reichskriegsflagge auf die Straße gehen.

Trotz aller Widrigkeiten eine entspannte und gelassene Diskussion, den Humor lassen wir uns durch Corona nicht verderben.

Corona im Rechtsstaat Folge 83

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Prof. Oliver Lepsius lehrt Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Universität Münster. In zahlreichen Publikationen in Fachzeitschriften und der Tagespresse hat er die Corona-Krise von Anfang an kritisch begleitet und kommentiert.

In einem LTO-Beitrag kritisierte er am 3.12.2021 die BVerfG-Entscheidungen zur Bundesnotbremse und empfahl, die Entscheidung zu Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen als Ausreißer zu behandeln und in Grundgesetz-Kommentaren nicht zu zitieren. In einem weiteren Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 10.12.2021 bezeichnete Lepsius die Karlsruher Entscheidungen als „rechtsstaatlich fahrlässig und unklug“.

Im Gespräch mit Niko Härting legt Lepsius die Gefahren einer „Expertokratie“ dar. Das BVerfG reduziere das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf die Prüfung, ob es Experten gebe, auf die sich der Gesetzgeber stützen könne. Dabei verzichte Karlsruhe auf eine präzise Bezugnahme auf einen Maßnahmenzweck. Als Teil eines „Gesamtschutzkonzepts“ werde Ungeeignetes zudem verhältnismäßig.

Lepsius wagt keine Prognose, wie das BVerfG über eine mögliche „allgemeine Impfpflicht“ entscheiden wird. Gleichwohl hält er es für dringend geboten, dass die verfassungsrechtlichen Parameter in der politischen Diskussion beachtet werden. Gegen das Argument, Leben zu riskieren, könne sich Politik nur durch die Berufung auf Recht schützen. Dies könnte dazu führen, dass man eine Impfpflicht auf bestimmte Einrichtungen und Personengruppen beschränkt.

In dem Gespräch geht es auch um die Menschenwürde und den Körper als Tabuzone und um mögliche Sanktionen einer Impfverweigerung. Ist eine Durchsetzung per unmittelbarem Zwang denkbar –ähnlich einer Blutentnahme zur Alkoholmessung? Wie sollte man Bußgelder bemessen? Und steht das Datenschutzrecht der Einrichtung eines „Impfregisters“ im Wege? Ist ein solches „Impfregister“ überhaupt praktisch vorstellbar? Wird es Begehrlichkeiten nach einer umfassenden Nutzung der Daten zur Kontrolle des öffentlichen Raums durch Zutrittskontrollen wecken?

Corona im Rechtsstaat Folge 82

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Kai Möller ist Professor of Law an der London School of Economics (LSE). Er befasst sich rechtsvergleichend mit Menschenrechten.

In dem Gespräch mit Niko Härting geht es um die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht. Warum wird diese Debatte nur in Deutschland und Österreich, nicht jedoch in den anderen europäischen Ländern geführt? Trotz vergleichbarer Impfquoten fordert in Großbritannien niemand eine allgemeine Impfpflicht, niemand fragt andere nach deren „Impfstatus“, niemand regt sich über „unbelehrbare Ungeimpfte“ auf. Wie erklärt sich dieser Unterschied?

Kai Möller ist der Auffassung, dass Impfpflichten die Menschenwürde tangieren. Daher lehnt er allgemeine Impfpflichten ab. Aber wie lässt sich dies begründen, wenn es bei einer Impfung doch letztlich nur um einen „kleinen Pieks“ gilt? Ist dies wirklich ein schwerwiegender Eingriff, der die Menschenwürde auf den Plan ruft?

In dem Gespräch geht es auch um das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das im 19. Jahrhundert in Deutschland erfunden wurde und seitdem einen Siegeszug bis in das europäische Recht erlebt hat. Das Prinzip hat seine Schwächen, da es letztlich jeden Eingriff in Grundrechte erlauben kann, wenn entgegenstehende Rechte und Interessen ein höheres Gewicht haben. Daher mag das angelsächsische Grundrechtsverständnis vorzugswürdig sein, das weniger auf Abwägungen als auf die Definition von Tabuzonen angelegt ist, die jedweder Abwägung entzogen bleiben. Bei allgemeinen Impfpflichten mag man sich fragen, ob eine solche –körperliche – Tabuzone erreicht wird.

Corona im Rechtsstaat Folge 81

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Über den Alltag in den Krankenhäusern und Intensivstationen redet man viel, ohne viel zu wissen. Manche wollen über die Zustände in den Krankenhäusern gar nicht viel wissen, weil sie den Meldungen über eine Überlastung mistrauen. Andere meinen, man müsse die Menschen vor einem Krankenhausaufenthalt einfach schützen, dann lösten sich alle Probleme in den Kliniken von ganz allein. Genaues wissen wollen nur die wenigsten.

Corona im Rechtsstaat Folge 80

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Prof. Carl Baudenbacher ist ein international anerkannter Experte für europäisches, schweizerisches und internationales Wirtschaftsrecht. Zwischen 1987 und 2013 hatte er den Lehrstuhl für Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen HSG inne. Von 1995 bis April 2018 war er Richter am EFTA-Gerichtshof, von 2003 bis 2017 dessen Präsident.

Der EFTA-Gerichtshof in Luxemburg ist das Schwestergericht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR): Island, Norwegen und Liechtenstein. In dem Gespräch mit Niko Härting erklärt Baudenbacher die Geschichte, die Aufgaben und die Bedeutung des EFTA-Gerichtshofs und berichtet über die Konflikte, die es mit Norwegen gibt. Denn in Norwegen beansprucht man bei der Erfüllung der EFTA-Verpflichtungen „room for manouevre“, einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum, der nach Baudenbachers Auffassung unter anderem mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar ist.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist eine deutsche Erfindung, die sich bis in das 19. Jahrhundert rückverfolgen lässt und unter dem Eindruck der Jahre zwischen 1933 und 1945 nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland zu einem Grundprinzip des Grundrechtsschutzes wurde. Auch im europäischen Recht ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mittlerweile fest verankert.

Der weite Einschätzungsspielraum, den das BVerfG in seinen „Bundesnotbremse“-Entscheidungen dem Gesetzgeber zubilligt, erinnert Baudenbacher an die norwegische „room for manoeuvre“-Doktrin. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird durch eine „Evidenz- oder Vertretbarkeitskontrolle“ ersetzt, die sich in letzter Konsequenz kaum noch von einer bloßen Willkürkontrolle unterscheiden lässt. Dies ist ein potenziell folgenreicher Rückschritt beim Grundrechtsschutz.

Corona im Rechtsstaat Folge 79

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Mit seinem Mitherausgeber, dem Würzburger Staatsrechtler Prof. Kyrill-Alexander Schwarz unterhielt sich Niko Härting bereits in den Folgen 16 und 41.

In der neuen Folge geht es um die Entscheidung des BVerfG „Bundesnotbremse I“. Was erfahren wir in der Entscheidung über die Expertengutachten, die der Entscheidung zugrunde liegen? Wie grenzt das Gericht die Schutzbereiche verschiedener Grundrechte ab? Was versteht das Gericht noch unter Verhältnismäßigkeit? Wie grenzt es Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit ab? Reicht dem Gericht für die Verhältnismäßigkeit eine Plausiblität? Wie genau wägt es ab? Und wie grenzt das Gericht Grundrechtseingriffe „durch Gesetz“ vom Eingriffen „auf Grund eines Gesetzes“ ab? Was ist von der teleologischen Reduktion des Freiheitsschutzes zu halten, den das Gericht vornimmt? Hat es dabei die historischen Erfahrungen der Mütter und Väter des Grundgesetzes hinreichend bedacht?

Es geht auch um den Begriff der „Entscheidung unter Ungewissheiten“ und Ähnlichkeiten mit einer Rede der Bundesjustizministerin und darum, dass das Gericht von einer „äußersten Gefahrenlage“ spricht, ohne diesen Begriff abstrakt zu definieren.

Corona im Rechtsstaat Folge 78

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Prof. Hans Peter Bull war von 1977 bis 1983 der erste Bundesdatenschutzbeauftragte und von 1988 bis 1995 Innenminister von Schleswig-Holstein. Vor fast einem Monat meldete sich Bull in der FAZ zu Wort und befürwortete eine allgemeine Corona-Impfpflicht.

Für Bull ist eine Impfpflicht nur ein Thema von vielen, in denen ein entschlussfreudiges Parlament und eine tatkräftige Regierung in der Corona-Krise Entscheidungen treffen müssen. Dies sei beim Thema Impfpflicht nicht geschehen. Man habe sich frühzeitig und ohne Begründung darauf festgelegt, keine Impfpflicht – auch nicht für einzelne Berufsgruppen – einzuführen. Im Wahlkampf habe man sich nicht getraut, einen solchen Vorschlag auch nur zu diskutieren.

Eine Impfpflicht ist nach Bulls Auffassung bei weitem nicht das schwerste Mittel zur Bekämpfung der Pandemie. Andere Corona-Maßnahmen, die per Verordnung angeordnet wurden, seien mindestens genauso schwerwiegend gewesen. Es sei „das bequemste Argument“ gewesen, das BVerfG werde Gesetze über eine Impfpflicht aufheben. Hiervon könne jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG überhaupt nicht die Rede sein. Menschen, die den Impfstoffen skeptisch gegenüberstehen, habe man durch die Hinweise auf eine besondere Eingriffsschwere von Impfpflichten in ihrer Skepsis auch noch bestätigt. Die Kommunikation sei insgesamt fehlerhaft gewesen.

Da man sich frühzeitig auf eine Ablehnung von Impfpflichten festgelegt hatte, habe man die Impfpflicht lediglich „durch die Hintertür“ eingeführt. Mit einem gewissen Recht fühlten sich ungeimpfte Bürgerinnen und Bürger durch „2G/3G“-Regeln ausgegrenzt und „wie Kriminelle behandelt“. Bei den Impfpflichten habe es an der Entschlossenheit gefehlt, die man bei – teils sehr bedenklichen – Maßnahmen der Kontaktbeschränkung und der monatelangen Schließung ganzer Wirtschaftsbranchen an den Tag legte.

Unter Aspekten der politischen Kommunikation sei es jetzt natürlich eine Herausforderung, bei der Impfpflicht jetzt plötzlich umzuschwenken und eine solche Pflicht zu befürworten. Als Politiker müsse man jedoch seine Meinung ändern, wenn sich die Verhältnisse ändern. Zu Irrtümern müsse man sich bekennen, um Glaubwürdigkeit zu beweisen.

Wenn eine gesetzliche Impfpflicht eingeführt wird, ist Bull zuversichtlich, dass diese Pflicht auch befolgt wird. Allerdings bedürfe es auch einer Sanktionierung durch Buß- und Zwangsgelder, die mit Augenmaß verhängt werden sollten. Staatlichen Zwang zur Durchsetzung von Impfpflichten lehnt Bull ab.

Am Schluss des Gesprächs geht es um Pläne der Europäischen Kommission, die Geltungsdauer von Impfzertifikaten zu begrenzen und dadurch Anreize für Booster-Impfungen zu setzen. Soll es in Zukunft auch eine gesetzliche Pflicht zum Boostern geben?

Über diesen Podcast

„Follow the Rechtsstaat“, der Podcast der Zeitschrift PinG, Privacy in Germany mit Stefan Brink und Niko Härting. Wir kümmern uns um aktuelle Fragen des Rechts, des Rechtsstaats und unserer Verfassung und schauen dabei immer ganz besonders auf die Themen Datenschutz und Informationsfreiheit.

von und mit Prof. Niko Härting

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