Follow the Rechtsstaat Folge 27
Von dem Vorhaben der „Ampel“, Cannabis in Deutschland weitestgehend zu liberalisieren, scheint wenig übrig zu bleiben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach begründet dies mit Bedenken aus Brüssel.
Was ist von diesen Bedenken zu halten? Ist die Kehrtwende der Ampel wirklich „alternativlos“? Niko Härting spricht mit Kai Ambos, Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung, internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Georg-August-Universität Göttingen.
Ambos und Härting besprechen die internationalen und europäischen Abkommen und Rechtsakte, die bei einer Freigabe von Cannabis zu beachten sind. Die Rechtslage ist komplex, erlaubt jedoch nach Ambos‘ Überzeugung eine deutlich weitergehende Legalisierung, als dies jetzt von Lauterbach geplant wird, wenn es einen entsprechenden politischen Willen gäbe.
Es geht unter anderem um folgende Fragen:
- Ist es üblich, dass die Bundesregierung zunächst einmal Gespräche mit der Europäischen Kommission führt, bevor sie einen Gesetzesentwurf vorlegt?
- Gibt es Rechtsgrundlagen für ein solches Verfahren?
- Wie vertragen sich Vorklärungen und Brüssel damit, dass Art. 38 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG die Wahlbürger vor einem „ Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich gefügten Herrschaftsgewalt“ schützt?
- Hätte man die „Eckpunkte“ einer Cannabis-Legalisierung nicht zunächst im Bundestag beraten müssen?
- Konnte man im Gesundheitsministerium ernsthaft „grünes Licht“ aus Brüssel erwarten oder war es nicht vorhersehbar, dass allenfalls Bedenken geäußert würden?
- Welche Zuständigkeiten hat die EU in der Drogenpolitik nach den Europäischen Verträgen?
- Was ist von dem „Rahmenbeschluss“ der EU aus dem Jahre 2004 zu halten, der den Cannabishandel verbietet, solange es keine „Berechtigung“ gibt?
- Warum soll sich eine solche „Berechtigung“ nicht durch ein deutsches Gesetz schaffen lassen?
- Muss sich nicht der „Rahmenbeschluss“ an Art. 7 der EU-Grundrechte-Charta (Privatleben) messen lassen?
- Die Politik der Cannabis Prohibition gilt allgemein als gescheitert. Lässt sich diese Politik dann verfassungsrechtlich wirklich noch als geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig bezeichnen, um Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen?
Anders als das europäische Recht schränken die seit 1961 bestehenden, mehrfach im Zeichen des „War on Drugs“ geänderten internationalen Abkommen nicht nur den Handel mit Cannabis, sondern auch den Konsum ein. Hier liegt nach Ambos‘ Auffassung eine größere Herausforderung als bei der Auslegung des europäischen Recht. Allerdings müsse man bei der Interpretation der Abkommen berücksichtigen, dass die Anschauungen sich seit den 60er-Jahren stark geändert haben. Der „War on Drugs“ ist Geschichte, und US-Staaten wie Kalifornien gehören zu den Vorreitern einer Cannabis-Legalisierung. Der Wortlaut der einschlägigen Normen der Abkommen eröffnet zudem Auslegungsspielräume, die eine Kontextualisierung erlauben und genutzt werden sollten.
Kommentare
Neuer Kommentar